10. April – 20. April 2012
“Wo kommt ihr denn eigentlich her?” fragt uns der Beamte von der Österreichischen Alpinpolizei. Wir, das sind Ilze Ruppners, Ove Albinsson, Peter Gumplinger und Silke Gumplinger, wohnhaft in Vancouver, Kanada, Mitglieder des DAV Jena (die Gumplingers) sowie im British Columbia Mountaineering Club. “Und was macht ihr hier in Österreich, wenn ihr doch in Kanada viel besseren Schnee habt?” kommt die nächste Frage. Schnee haben wir tatsächlich viel mehr, dafür aber so gut wie keine Hütten und keine Bergstrassen, die uns bis zur Schnee- bzw. Baumgrenze bringen.
Wenn wir bei uns auf Skitour gehen, ist immer alles dabei: Zelt, Isomatte, Schlafsack, Kocher und Essen zusätzlich zur Ski- und Bergausrüstung. Eine Woche Verpflegung ist so ziemlich das Maximum was man ohne Lebensmitteldepot (vorher mit Hubschrauber eingeflogen) bewältigen kann. Wenn dann das Wetter schlecht wird, sitzt man manchmal tagelang im winzigen Bergsteigerzelt fest. Für uns ist eine Tour in den Alpen von Hütte zu Hütte wie ein Luxusurlaub.
Das erstemal gehört hatten wir von der Hoch Tirol vor 3 Jahren, während wir auf der Haute Route in der Schweiz unterwegs waren. An einem Schlechtwetter- Hüttentag kamen wir mit einem österreichischen Bergführer ins Gespräch, der uns von dieser Skiroute erzählte.
Nun endlich ist es soweit. Am Dienstag nach Ostern soll es losgehen. Wir haben 2 Wochen eingeplant für eine Durchschreitung, die eigentlich nur 6 Tage dauern sollte. Aber das Wetter in den Bergen kann unberechenbar sein und so war es dann auch.
So sieht unser Tourenplan aus:
Erster Tag: Von Kasern im Südtiroler Ahrntal (1621m) über Umbaltörl (2848m) und Regentörl (3056m) zur Essener-Rostocker-Hütte (2208m)
Aufstieg 1720m, Abfahrt 1160m
Zweiter Tag: Von der Essener-Rostocker-Hütte (2208m) Aufstieg zum Grossen Geiger (3360m), über Türmljoch (2845m) zur Johannishütte (2121m)
Aufstieg 1152m, Abfahrt 1239m
Dritter Tag: Von der Johannishütte (2121m) über Defreggerhaus (2962m) zum Grossvenediger (3674m), Abfahrt nach Innergschlöss (1691m) und zum Matreier Tauernhaus (1512m)
Aufstieg 1553m, Abfahrt 2162m
4.Tag: Vom Matreier Tauernhaus (1512m) über Amertalerhöhe (2784m), und Granatscharte zum Sonnblick (3088m), dann zum Alpinzentrum Rudolfshütte (2311m)
Aufstieg 1925m, Abfahrt 1121m
5. Tag: Von der Rudolfshütte (2311m) zur Granatspitze (3086m), Abfahrt ins Dorfertal und zum Kalser Tauernhaus (1500m), Übernachtung in Kals – Die offizielle Tourenbeschreibung für die Hoch Tirol Tour sieht vor, noch am gleichen Nachmittag ein Taxi zum Lucknerhaus zu nehmen und zur Stüdlhütte aufzusteigen, aber wir sind der Meinung, dass wir uns an dieser Stelle einen “Ruhetag” verdient haben
Aufstieg 775m, Abfahrt 1586m
6. Tag: Taxi zum Lucknerhaus (1920m), Aufstieg zur Stüdlhütte (2801m)
Aufstieg 881m
7. Tag: Von der Stüdlhütte (2801m) über Adlersruhe (3454m) zum Grossglockner (3798m), dann Abfahrt zum Lucknerhaus (1920m)
Aufstieg 997m, Abfahrt 1880m
Soweit der Plan. Da wir 2 Wochen Zeit haben, wollen wir anschliessend noch weiter über Heiligenblut bis ins Rauris.
Die Osterfeiertage nutzen wir zum Verwandtenbesuch und um den 9h Zeitunterschied zwischen Vancouver und Europa zu überwinden. Am Abend des Ostermontages treffen wir uns mit Ilze und Ove in Bruneck. Von hier soll es am nächsten Morgen mit dem Postbus ins Ahrntal nach Kasern gehen.
Erster Tag
Wir wissen, dass es die erste Etappe in sich hat und in der Routenbeschreibung 7 1/2 h angegeben sind. Deshalb sind wir nicht glücklich, dass unser Hotel erst um 7 Uhr Frühstück serviert. Aber was hilft’s, essen müssen wir und so sitzen wir erst nach 8 Uhr im Postbus Richtung Kasern. Von dort geht’s zu Fuss weiter bis Kasern-Heiligenblut, wo wir uns vor einer Almhütte die Skistiefel anziehen. Es ist mittlerweile schon 10.30 Uhr.
Ein Bergführer mit Gast kommt vorbei und fragt uns, ob wir schon wieder von unserer Tour zurück seien. Als wir ihm erzählen, wo wir heute noch hinwollen, meint er, dass wir aber schon sehr spät dran wären. Wir dagegen hoffen, pünktlich zum Abendessen 18 Uhr an der Essener – Rostocker Hütte zu sein.
So beginnen wir unsere Skitour einem alten Schmugglerpfad folgend erst leicht ansteigend, dann steiler werdend ins Windtal. Das Wetter ist herrlich und schnell werden wir warm, zu warm. Wir müssen etliche Trinkpausen einlegen bis wir das Umbaltörl auf 2848m erreichen. Von hier sehen wir auf der anderen Talseite und ziemlich weit weg, wie uns scheint, das Regentörl, den Hochpunkt unserer heutigen Etappe. Dort entdecken wir auch eine Gruppe von 3 Skifahrern im Aufstieg – die einzigen Leute, die wir den ganzen Tag sehen. Wir haben auch einen sehr schönen Blick auf die Dreiherrn Spitze (3499m), müssen sie aber heute leider links liegen lassen.
Nach einer kurzen Abfahrt hinunter zum Umbalkees in sehr unangenehmen Schneeverhältnissen müssen wir wieder die Felle anlegen und beginnen mit dem Aufstieg zum Regentörl (3056m). Da wir noch nicht an die Höhe gewöhnt sind, geht es nur langsam voran. Endlich sind wir am Hochpunkt und können die Felle für heute abziehen. Der Bruchharsch macht die Abfahrt zur Essener-Rostocker Hütte nicht gerade zum Genuss.
Kurz nach halb sechs sind wir da, pünktlich zum Abendessen. Mächtigen Hunger haben wir, ausserdem sind wir überrascht, auf der Hütte sogar Duschen vorzufinden. Zu Hause müssten wir jetzt im Schnee Zeltplattformen schaufeln, die Zelte aufbauen, Isomatte, Schlafsack aufrollen, Abendessen kochen. Wir lieben die Alpen!!!
Zweiter Tag
Die heutige Etappe wird im Skitourenführer Hoch Tirol wie folgt beschrieben: „Eine landschaftlich beeindruckende Hochtour. Die Abfahrt vorbei am Aderkamm ist jedoch besonders bei schlechtem Wetter nicht leicht zu finden. Alternativ kann man im Frühjahr über eine steile Rinne südlich des Aderkamms ausweichen.“
Die Wettervorhersage verspricht Verschlechterung im Laufe des Tages. Wir wollen es trotzdem versuchen und umkehren können wir immer. Ausserdem sind wir ziemlich scharf auf unseren ersten Dreitausender dieser Tour, den Hohen Geiger.
Anfangs geht es mehr als eine Stunde flach dahin, dann leicht ansteigend und steiler werdend. Mittlerweile hat uns das schlechte Wetter eingeholt und wir sind im Whiteout, das heisst, man sieht keine Konturen mehr, der Schnee und der Horizont verschmelzen zu einer Einheit. Man weiss nicht mehr, wo oben oder unten ist. Bei uns zu Hause im Küstengebirge, den „Coast Range Mountains“ in British Columbia leider ein häufiges Phänomen. Aber das hier sind die Alpen und wir folgen einer Skispur. Umkehren? Nein.
Am Skidepot des Gipfelhanges ist eine grössere geführte Gruppe polnischer Skifahrer. Wir müssen eine ganze Weile warten, dafür machen sie eine schöne Fussspur für uns. Endlich am Gipfel, 3360m, und wir sehen – nichts.
Zurück am Skidepot werden die Felle abgezogen. Jetzt müssen wir „nur“ noch den Weg zur Johannishütte finden. Die Abfahrt beginnt mit einer Hangquerung bis zu einem flachen Gletscher, dann müssen wir in steilerem Gelände westlich am „Grossen Happ“ vorbei und oberhalb des „Kleinen Geiger“ über einen Felsgrat hinunter zum Türmljoch. Bei guter Sicht kein Problem, aber im Whiteout ist es schwer, die Orientierung zu behalten. Wir halten häufig an, um Höhenmesser und Karte zu konsultieren und finden so unseren Weg bis zum Türmljoch. Dort haben wir zwei Varianten: die Abfahrt über den Aderkamm, die bei schlechtem Wetter ausdrücklich nicht empfohlen wird oder 650m Abfahrt über eine Steilrinne.
Wir sehen immer noch nichts und entscheiden uns für die Steilrinne. Die ist tatsächlich sehr steil mit schwierigen Schneeverhältnissen. Einen Eisklumpen muss ich wohl übersehen haben, ich bleibe daran hängen und lege einen spektakulären Sturz hin. Eine Bindung geht nicht auf und das nächste ist ein stechender Schmerz im linken Knie. Vorderes Kreuzband. Auch das noch!! An Skifahren ist nicht mehr zu denken, aber irgendwie muss ich zur Hütte kommen. Ich stelle fest, dass ich seitlich rutschen kann, solange ich den bergseitigen linken Ski nicht belaste. Dank der Hilfe meiner Skifreunde ist es mir gelungen, 500m dieser Steilrinne seitlich abzurutschen. Sind wir froh, als wir endlich an der Hütte ankommen!
Dritter Tag
Heute soll ein Höhepunkt unserer Tour werden mit der Besteigung des Grossvenedigers. Ausserdem ist Kaiserwetter vorhergesagt und für die darauffolgenden Tage wieder Wetterverschlechterung.
Ich will auf keinen Fall in der Hütte bleiben und es zumindest versuchen. Den ganzen Abend hatte ich mein Knie mit Druckverband hochgelegt und gekühlt. Laufen geht zwar sehr schlecht, aber mit Ski im Aufstieg wunderbar. Und wenn ich erstmal oben bin, werde ich schon irgendwie runter kommen.
Mir fällt auf, das Ilze heute viel langsamer unterwegs ist als normal. Sie erklärt, dass sie schon am Morgen in der Hütte gemerkt hat, dass etwas nicht stimmt, denn das Frühstück wollte nicht drinbleiben. In der Hütte zu bleiben ist auch für sie kein Thema. Langsam aber sicher nähern wir uns dem Defreggerhaus. Das Wetter ist herrlich und es wird recht warm. Unglaublich, wie Ilze das schafft, ohne etwas essen oder trinken zu können.
Nach einer Pause am Defreggerhaus steigen wir über den Gletscher des Rainerkees bis zum Rainer Törl auf 3420m. Von dort sieht man den Grossvenediger schon zum Greifen nahe. Wir queren einen flachen Gletscher und in einigen Spitzkehren erreichen wir über das etwas steilere Schlussstück den Gipfel des Grossvenedigers mit 3674m. Das Panorama ist atemberaubend.
Nun erwarten uns 2162m Abfahrt über das Schlatenkees zum Almdorf Innergschlöss und dann geht es den Talboden flach hinaus bis zum Matreier Tauernhaus. Dank der gestrigen Schlechtwetterperiode haben wir herrlichsten Pulverschnee und mein Knie meldet sich während der butterweichen Schwünge überhaupt nicht. Es ist reines Genussskifahren vorbei an der Grossvenedigerscharte und hinab über den Gletscher des Schlatenkees. Weiter unten wird der Schnee schwerer und meine Schwünge vorsichtiger. Nach einem letzten Steilstück erreichen wir bei 1700m den Talboden.
Innergschlöss wird zu Recht als der schönste Talschluss der Ostalpen bezeichnet. Von hier wird es sehr flach und wir wünschen uns unsere Langlaufski. Dann hört der Schnee ganz auf und spätestens ab Aussergschlöss geht es nur noch zu Fuss weiter.
Es sind noch etliche Kilometer bis zum Matreier Tauernhaus und trotz meiner Skistöcke als Krücken komme ich nur sehr langsam voran. Es wird ein Leidensweg und ziemlich spät erreichen wir das Matreier Tauernhaus.
Wir werden sehr nett von den Wirtsleuten begrüsst und das Abendessen wartet auf uns. Wir haben Doppelzimmer mit Dusche und WC, ausserdem gibt es eine holzgefeuerte Sauna. Wir sind im Paradies.
Vierter Tag
Wir schauen zum Fenster hinaus – die Berge sind weg! Dafür sehen wir dicke graue Wolken woraus es abwechselnd schneit oder regnet. Wir drehen uns um und schlafen noch eine Runde. Den Tag verbringen wir mit essen, schlafen, fernsehen, Sauna, Wäsche waschen (sehr nötig), spazieren gehen (in einer Regenpause um den Beginn der nächsten Etappe zu finden), den Tieren im Streichelzoo zusehen und Gitarre spielen.
Fünfter Tag
Das Wetter hat sich gebessert, es ist zwar nicht perfekt aber gut genug. Wir wollen weiter, aber Ilze fühlt sich noch etwas schwach. So beschliessen Ilze und Ove, mit Bus, Bahn und Skilift bis zum Alpinzentrum Rudolfshütte zu gelangen. Peter und ich nehmen den Weg über die Berge.
Die ersten 500 Höhenmeter müssen wir die Ski tragen, bis wir Schnee finden. Es geht an der Mautstelle für den Felbertauerntunnel vorbei links des Daberbaches durch Lärchen- und Fichtenwald bis zu einem steilen Aufschwung. Auf etwa 2000m setzen wir unseren Aufstieg mit Ski an den Füssen fort, bis wir am Dabersee vorbei über das Daberkees aufsteigend die Amertaler Höhe auf 2780m erreichen. Von hier sehen wir die Granatscharte (2974m), durch die wir heute noch durch müssen. Das Wetter verschlechtert sich, so dass wir schnell die Felle abziehen, um die Abfahrt ins Landecktal noch bei guter Sicht hinter uns zu bringen.
Während wir an unserem Tiefpunkt bei 2400m eine Pause einlegen, zieht es vollständig zu und fängt an zu schneien. Daraus wird bald ein Schneesturm, bei dem man seine Hand vor Augen nicht sieht. Gut, dass wir uns die Route von der Amertaler Höhe aus angeschaut haben und schnell geben wir noch die Koordinaten für die Granatscharte ins GPS ein. Peter geht spurend voran, als ich einmal 30m zurückfalle, sehe ich sowohl ihn als auch die Spur fast nicht mehr. Die Granatscharte finden wir nur dank GPS. Dass wir unter diesen Bedingungen keine Ambitionen haben, den Stubacher Sonnblick zu besteigen, versteht sich von selbst. Es wären nur noch 114 Höhenmeter bis zum Gipfel gewesen.
Wir haben jetzt ein anderes Problem. Wir sind in einem vollständigen Whiteout und müssen über einen uns unbekannten Gletscher 660m zur Rudolfshütte abfahren. Wir haben die Hüttenkoordinaten im GPS, aber das GPS sagt uns leider nicht, wo die Gletscherspalten und -abbrüche liegen. So geht’s bei herrlichem Pulverschnee im Schneepflug(!) langsam abwärts. Dann hat der Wettergott ein Einsehen und kurz lüftet sich der Nebel, so dass wir die Rudolfshütte sehen können. Wir prägen uns schnell die sicherste Abfahrtsroute ein, ehe sich das Nebelloch wieder schliesst. Als wir an der Hütte ankommen, begrüssen uns Ilze und Ove schon am Eingang. Sie sind genauso froh wie wir, dass wir es geschafft haben.
Sechster Tag
Whiteout. Wettervorhersage: schlecht. Wir haben Gelegenheit, unser Hotel Alpinzentrum Rudolfshütte zu erkunden. Mit einer Hütte hat es eigentlich nicht viel zu tun. Es gibt eine Indoorkletterwand, Fitnessraum, Schwimmbad, Saunalandschaft, Tischtennisplatten. Das Frühstücks- und Abendbuffet ist gut und reichlich.
Siebter Tag
Immer noch Whiteout. Wir gehen wieder in die Sauna, essen reichlich, trinken noch mehr Bier und stellen uns vor, wie wir in Kanada das schlechte Wetter im Zelt aussitzen müssten.
Achter Tag
Heute soll es weiter gehen. Die Wettervorhersage hat Besserung versprochen. Wir schauen zum Fenster hinaus und sehen: Whiteout. Egal. Es ist zwar sehr schön hier im Berghotel aber wir brauchen unbedingt Bewegung. Wir sehen, wie sich einige Bergführer mit ihren Gruppen abmarschbereit machen. Bald stehen auch wir in voller Skimontour vor der Hütte im Nebel.
Wir folgen einer guten Skispur und nach einer Stunde Aufstieg beginnt sich der Nebel zu lichten. Zum ersten Mal können wir den Sonnblickkees, den Gletscher, den wir im Whiteout abgefahren sind, gut sehen. Unter uns liegt das Alpinzentrum und um uns herum eine herrliche Bergkulisse.
Wir steigen zum Stubacher Sonnblick (3088m) auf und geniessen das Panorama. Wir überlegen, ob wir die Granatspitze (3086m) auch noch „mitnehmen“ sollen, beschliessen aber, dass ein 3000er am Tag reicht.
Wir suchen nach einer geeigneten Stelle in der Scharte, von der wir ins Dorfertal abfahren können. Kurzzeitig ist es sehr steil, aber machbar. Dann geniessen wir den Pulverschnee, bis wir weiter unten auf Bruchharsch stossen.
Am Dorfersee vorbei ist es flach und wir müssen skaten, bald sind wir am Kalser Tauernhaus. Der Schnee ist nun feucht und oft müssen wir die Ski abschnallen und tragen. Interessant ist der Tunnel in der Daberklamm, die Stirnlampen werden gebraucht. Am Gasthof Taurer (1521m), der leider geschlossen ist, bestellen wir ein Taxi, welches uns nach Kals bringt.
Wir übernachten im Haus Alpina in Kals. Nach dem Abendessen im KK Cafe mit exzellenter österreichischer Küche sitzen wir im Frühstücksraum unserer Pension mit unserem Gastgeber, Josef Oberlohr. Zwei Brüder von ihm, Konrad und Rupert, sind nach Nordamerika ausgewandert und leben in Vail, Colorado. Wir kennen Konrad und Rupert, sie hatten uns Haus Alpina empfohlen. So gibt es viel zu erzählen während Josef uns Marillenschnaps einschänkt.
Neunter Tag
Heute haben wir es nicht eilig. Die 881m Aufstieg zur Stüdlhütte (2801m) sind in wenigen Stunden zu machen. Nach ausgiebigem gemütlichen Frühstück nehmen wir das Skitaxi zum Lucknerhaus (1920m). Hier liegt kein Schnee und es sieht so aus, als ob wir einige Kilometer den Fahrweg entlanglaufen müssen, der mit einer Schranke abgesperrt ist.
Während wir unsere Ski an die Rucksäcken schnallen, sehen wir einen dunklen Minivan mit Skibergsteigern Richtung Schranke fahren. Einer von ihnen schliesst diese auf und Ilze und ich sind schnell zur Stelle, um zu fragen, ob noch Platz für unsere Rucksäcke ist. Bevor wir’s wissen sind Rucksäcke, Ski und auch wir fachmännisch verladen. Es sind einige Kilometer bis zur Talstation der Materialseilbahn auf etwa 2100m. Hier endet unsere Fahrt.
Wir haben erfahren, dass unsere netten Fahrtgenossen Mitglieder der österreichischen Alpinpolizei sind und Ausbilder für einen Lehrgang zum Polizei-Bergführer auf der Stüdlhütte. Während wir noch die Felle auf die Ski kleben, sind sie schon halb den Berg hoch.
Wir lassen uns Zeit, denn es ist noch nicht einmal Mittag. Vorbei an der Lucknerhütte (2241m), die um diese Jahreszeit nicht bewirtschaftet ist, steigen wir auf zur Stüdlhütte. Es hat wieder angefangen zu schneien und so sind wir froh, als wir am frühen Nachmittag die Hütte erreichen. Wir planen, 2 Nächte hier zu bleiben, denn die Wettervorhersage für den kommenden Tag zur Grossglocknerbesteigung ist nicht besonders gut.
Nachdem wir uns umgezogen und im Matratzenlager häuslich eingerichtet haben, sitzen wir bei Tiroler Kaspressknödeln und Bier in der Gaststube. Plötzlich geht die Tür auf und ein fachmännisch in einen Biwaksack eingeschnürter „Verletzter“ wird von unseren „Bergrettern“ an die Theke geliefert. Für heute ist die Ausbildung beendet.
Nach und nach versammeln sich alle 16 Alpinpolizisten – Ausbilder und Auszubildende – in der Gaststube. Einige Musikinstrumente kommen zum Vorschein: eine Gitarre, eine Quetschn’ und sogar eine Bassposaune. Es verspricht, ein interessanter Abend zu werden.
Als sie loslegen, sind wir platt. Wir haben das Gefühl, dass hier eine professionelle Musikkapelle spielt. Und gesungen wird natürlich mehrstimmig. Einige der Lieder kennen wir und so singen wir kräftig mit. Für uns kanadische Gäste wird sogar „Country Roads“ angestimmt. Später wird zu Walzer gewechelt. Gut, dass wir schon akklimatisiert sind, denn auf 2800m Walzer zu tanzen kann ganz schön anstrengend sein. Ich glaube, dass wir an diesem Abend die 22 Uhr Hüttenruhe nicht eingehalten haben.
Zehnter Tag
Die Wettervorhersage ist für heute unsicher, trotzdem wollen wir es mit dem Grossglockner versuchen. Wir haben nur noch heute und morgen Zeit, ehe wir zurück nach München müssen.
Nach dem Frühstück warten wir, bis wir wenigstens ein bisschen Sicht haben. Wir beginnen mit unserem Aufstieg. Nachdem wir unter dem Salzkopf gequert sind und das Ködnitzkees erreicht haben, verschlechtert sich das Wetter wieder. Wir steigen weiter auf und finden nach einigem Suchen den gesicherten Steig, der vom Ködnitzkees zur Adlersruhe (3454m) führt. Wir bleiben aber noch auf dem Schnee, bis wir das Skidepot erreichen. Wir haben starken Wind und keine Sicht. Ausserdem ist es sehr kalt. Wir schnallen die Ski ab und stellen fest, dass durch eine lockere Neuschneeauflage die darunterliegenden Felsen sehr schwierig zu begehen sind. Wir wissen nicht, ob es am vielen Bier oder am Walzer liegt, aber unter den gegebenen Bedingungen sind wir wenig motiviert, unseren Aufstieg fortzusetzen. Für einen kurzen Moment können wir die Adlersruhe, auch Erzherzog Johann Hütte genannt, sehen. Der Gipfel hüllt sich die ganze Zeit in Wolken. Ein Trost für mich ist, dass ich schon mal oben war, allerdings im Sommer und auf einer anderen Route.
Wir ziehen die Felle ab und fahren im Whiteout das Ködnitzkees hinunter. Weiter unten ist es nicht mehr so kalt und windig und wir tauen langsam wieder auf. Ohne Probleme erreichen wir kurz nach Mittag die Hütte.
Unsere neuen Freunde von der Alpinpolizei haben ihre Ausbildung beendet und machen sich bereit, zum Lucknerhaus abzufahren. Sie schwärmen uns vor, wie schön die Zimmer im Lucknerhaus sind, ausserdem gibt’s heisse Duschen und Sauna. Nachdem wir erfahren, dass das Wetter für den folgenden Tag noch schlechter werden soll, überlegen wir nicht lange und entscheiden uns für einen weiteren musikalischen Abend statt eines zweiten Gipfelversuches.
Wir fahren zum Lucknerhaus ab und bekommen schöne Doppelzimmer mit Bad. Die heisse Dusche tut sehr gut. Das Abendessen ist gut und reichlich und das Bier schmeckt. Peter macht schon seit zwei Tagen eine Erkältung zu schaffen, auch Ove ist müde und beide gehen zeitig schlafen. Ilze und ich denken nicht daran. Sobald die Musikinstrumente herausgeholt werden, ist der Hüttenzauber wieder in vollem Gange. Die Eltern der Wirtsleute setzen sich dazu, die Enkeltochter bringt ihre Harfe und es wird gesungen und getanzt.
Der Seniorchef erzählt mir, wie er nach dem Krieg das Lucknerhaus ausgebaut hat – er ist übrigens auch ein Oberlohr und kennt natürlich unsere amerikanischen Oberlohrs Rupert und Konrad. Kurz vor Mitternacht verschwindet die Seniorchefin in der Küche und kommt mit einer gigantischen Brettljausn’ für 20 Leute wieder. Zusätzlich gibt es etliche Flaschen Rotwein auf Kosten des Hauses. Gut, dass wir morgen nicht auf den Glockner wollen.
Elfter Tag
Unser letzter Skitag. Vergangene Nacht hat es bis hinunter zum Lucknerhaus geschneit. Alles ist weiss, und es schneit immer noch. Wir planen, eine Skitour zu den Gridenkarköpfen (3030m) zu machen. Der Wirt empfiehlt uns, anschliessend noch vom Peischlachtörl (2490m) über’s Kasteneck (2835m) auf-und zur Glorer Hütte (2651m) abzusteigen und von dort zum Lucknerhaus zurückzufahren. Eine interessante Rundtour, wir sind dabei.
Ein ganzes Stück müssen wir die Ski tragen, an der Niggl-Alm vorbei bis ins kleine Peischlachtal. Von dort geht es auf Skiern weiter. Am Peischlachtörl biegen wir in einen schmales Tälchen ein und zwischen den Felsen steigen wir weiter auf. Das Wetter hat sich wieder zugezogen und wir sehen fast nichts mehr. Ilze und ich übernehmen die Spurarbeit im tiefen Schnee. In einer Mulde zwischen den Gridenkarköpfen geht es hinauf zum Gipfelgrat. Am Grat lassen wir die Ski und nach kurzem Schneestapfen sind wir am Gipfel. Der sieht aus wie in Kanada, mit Steinmann ohne Gipfelkreuz. Rundblick haben wir keinen.
Der Pulverschnee beim Abfahren ist Hochgenuss. Besonderen Spass macht es uns, weiter unten im Tälchen zwischen den Felsen durchzufahren. Zurück am Peischlachtörl sehen wir genug, um den Aufstieg zum Kasteneck in Angriff zu nehmen. Dort angekommen, sehen wir uns mit einer Steilstufe konfrontiert, die im Sommer mit markiertem Weg sicher kein Problem ist, aber mit reichlich lockerem Neuschnee im Abstieg kein Vergnügen darstellt. Wie oft in solchen Situationen schickt mich Peter vornweg, um eine Spur zu legen.
Kurz oberhalb der Glorer Hütte können wir die Ski wieder anschnallen und bei wechselnden Sichtverhältnissen bis zum Lucknerhaus abfahren.
Leider ist die Alpinpolizei heute morgen abgereist und wir müssen den Abend ohne musikalische Unterhaltung verbringen.
Zwölfter Tag
Heute müssen wir von den österreichischen Alpen Abschied nehmen. Um es uns besonders schwer zu machen, gibt es blauen Himmel und Sonnenschein. Als wir im Postbus nach Kitzbühel sitzen, sehen wir etliche starke Lawinenabgänge. Vielleicht ist heute doch kein so guter Tag zum Bergsteigen. Der Zug bringt uns nach München, wo wir unsere Ski und Rucksäcke deponieren und Peter uns seine Heimatstadt zeigt. Am Abend fahren wir nach Landshut, Peter’s Cousin Walter holt uns vom Bahnhof ab und im Biergarten bei deftiger bayrischer Kost und kühlem Bier erzählen wir von unseren Erlebnissen.